„Sucht und Schuld“ (Andrej Singer)
Fortbildungswochenende Lützensömmern vom 15.-17. November 2024
Am Freitagabend begann das Fortbildungswochenende mit einer Vorstellungsrunde der Teilnehmer und Teilnehmerinnen und des Referenten und einer schon intensiven Einführung in das Thema. Hierbei wurde auf die Erwartungen an das Thema und das Weiterbildungswochenende eingegangen. In der Vorstellungsrunde war bereits abzusehen, wie tief Schuld- und Schamgefühle bei vielen Suchtkranken aber auch Angehörigen sitzen. Es war ein emotionales Wochenende zu erwarten.
Am Samstagvormittag gab es, im Dialog mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, vom Referenten einen großen Input zu verschiedenen Themen und Fragen: Was macht oft so schwer behandelbar und welche Rolle spielen dabei Scham- und Schuldgefühle der Betroffenen bis hin zu der Annahme, die Sucht sei selbstverschuldet und keine Krankheit? Obwohl ein Suchtmittelrückfall zu den Symptomen einer Abhängigkeitserkrankung zählt, wird er von den Betroffenen oft sehr schambesetzt empfunden. Was ist eigentlich Sucht?
Sucht: Sofortige Bedürfnisbefriedigung in Massen und von außen. Hierbei ist das Suchtmittel bzw. das süchtige Verhalten, ganz gleich welches, das Hilfsmittel. In Zusammenarbeit mit dem Referenten und bei Rollenspielen wurde deutlich gemacht, dass die Grundlagen für diese Verhaltensweisen schon in der Kindheit gelernt werden können. Aus den Erfahrungen haben wir gelernt, dass Gefühle leicht von außen befriedigt werden können, z.B.: durch Geschenke, positives Verhalten uns gegenüber etc.
In den Gesprächen im Plenum zeigte sich, dass sich sowohl cleane Suchtkranke als auch Angehörige rückblickend für vieles schuldig fühlen. Vom Referenten wurde erklärt, dass es hilfreich ist, das Wort Schuld durch Verantwortung zu ersetzen. D.h.: Wir sind in bestimmten Situationen unserer Verantwortung nicht gerecht geworden, aber die Verantwortung für unser Leben haben wir. Dazu gehört auch, dass wir nicht gegen die Sucht kämpfen, das wäre ein Kampf gegen uns selbst, sondern lernen, unsere Bedürfnisse zu erkennen und ohne Suchtmittel zu befriedigen.
In einer intensiven Kleingruppenarbeit ging es um das Erkennen unserer persönlichen Stärken und Schwächen. Um die positive und negative Besetzung der beiden Begriffe zu ersetzen, verwendeten wir das Wort Eigenschaften, denn in vielen Situationen sind vermeintliche Schwächen plötzlich positiv besetzt.
Das als negativ empfundene und besetzte Gefühl der Scham hilft uns, Dinge nicht zu tun, die mit diesem Gefühl verbunden sind. Wie akzeptieren wir unsere, aus unserer Sicht, schuld- und schambehaftete Vergangenheit? Mit der Erkenntnis: An dem Punkt in unserem Leben, an dem wir jetzt stehen, würden wir ohne unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht stehen. Wir haben die Verantwortung für unser Leben und können entscheiden, wie wir leben wollen. Untermauert wurden diese Fragen und Erkenntnisse durch die Erklärung und Darstellung der Aufgaben und des Zusammenspiels der einzelnen Regionen unseres Gehirns. Das half bei der Erklärung, warum wir wann wie reagieren.
Am Sonntag wurden Fragen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen behandelt, wobei noch einmal das Thema „Schuld (Verantwortung) und wie gehe ich damit um?“ im Vordergrund stand. Dabei reifte die Erkenntnis bei Suchterkrankten und Angehörigen, dass es an der Suchterkrankung keine Schuld gibt. Wenn wir keinen Schuldigen mehr suchen, gewinnen wir die Verantwortung für unser Leben zurück, besetzen negative Begriffe positiv und können Veränderungen bewerkstelligen. Außerdem gingen wir den Fragen nach: Wie können wir die Fragestellungen und Erkenntnisse in unser persönliches Leben integrieren und was nehmen wir mit unsere Selbsthilfegruppen.
Und es ist sehr hilfreich, auch im täglichen Sprachgebrauch das Wort Suchterkrankung durch Abhängigkeitserkrankung zu ersetzen.
Dem Thema geschuldet war es ein sehr emotionales Wochenende. In der Abschlussrunde am Sonntag wurde dieses Fortbildungswochenende von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen als sehr gelungen eingeschätzt. Eine weitere Fortsetzung ist dementsprechend erwünscht.
Wolfgang Kuhlmann
Betreuer und Teilnehmer